Bonn Trinitatiskirche 2017
„Zwischenräume“: Die Malerin Marietheres Hessel stellt aus
Zwischenraum: Im wirklichen Leben ist das meist ein Platz ohne besondere Bedeutung, ja oft nur ein Nichts. Er selbst wird kaum wahrgenommen. Nur das, was sich neben, über oder unter ihm befindet, scheint wichtig. In der Kunst dagegen zählt auch der Zwischenraum. Das kann, bei Skulpturen, ein Hohlraum sein, eine Negativform, die den Ausdruck des Werks mitbestimmt. Marietheres Hessel indessen beschäftigt sich mit Malerei, und die findet auf der zweidimensionalen Fläche statt. Trotzdem kann sie Räumlichkeit simulieren, auch in ihrer abstrakten Variante.
Auf den gegenstandslosen Bildern von Marietheres Hessel fügen sich Farbflächen in spannungsreichem Wechselspiel zu Kompositionen, in denen Linien sich zu Flächen schließen, Vorder- und Hintergrund die Plätze tauschen und so Irritationen auslösen. Dem Betrachter ermöglichen sie Seherlebnisse, die das alltägliche, feststellende und festlegende Sehen aufbrechen und bereichern. Assoziationen stellen sich ein, die Farben sprechen, ohne ihre Geheimnisse preiszugeben. Wie musikalische Töne schweben sie mal leicht, mal gravitätisch dahin, folgen einer übergeordneten Harmonie. Dabei wird der schweifende Blick stets auch auf Lücken gelenkt, die eine Durchsicht in tiefer liegende Schichten ermöglichen. Zu sehen ist diese hintergründige Malerei in der Trinitatiskirche vom 10. September bis zum 22. Oktober.
Als musikalischer Begleiter der Vernissage ergänzt der Gitarrist Olaf Prätzlich in überein-stimmender Intention die Bildfindungen der Malerin: Sein instrumentales Spiel versteht er als „Blick hinter die Noten“ und bezeichnet das musikalische Intervall als geistig-spirituellen Raum.
Die Eröffnung findet am 10. 9. um 11.15 Uhr statt. Marion Leske
„Zwischenräume“
Ausstellung Marietheres Hessel
Trinitatiskirche, Bonn, Vernissage, So. 10. September 2017
Es ist immer ein harter Bruch, eine markante, geradezu schmerzliche Zäsur wenn, dass kaum ein bezwingendes Instrumentalkonzert verklungen ist, sich eine menschliche Alltagsstimme zu Wort meldet. Musik, und hat soeben Gitarrist Olaf Prätzlich fesselnd erfahrbar gemacht, spricht wortlos, abstrakt Seele, Gemüt, Geist und Sinne an. Schiere, wortelose Abstraktionen offenbart ebenso die faszinierende Bildwelt von Marietheres Hessel.
Den Kirchenraum bestücken titelfreie Gemälde, die Parallelen und Entsprechungen, Berührungsflächen zu instrumentalen Klangwelten entfesseln: ein gewisser Swing und Drive wohnt einem Gemälde inne, wo im Vordergrund barock ondulierende Farbverläufe, Anmutungen wie Schweben, Schwingen, Gleiten, Fließen, Wiegen auslösen. Da tritt a la vivace eine expandierende, sich still intensivierende Bewegung in Kraft; eine Melodieführung wird spürbar anhand von mobilisierten Farbenschwaden, rhythmisierten Farbgebilden. Im Hinter- oder Untergrund zu pulsieren scheint eine lückenhaft wahrnehmbare Farblandschaft, die man vergleichen könnte mit einer Basso Kontinuo Grundierung oder einer Simultanmelodie.
Auf diese Weise wirken zwei miteinander verfugte Farbräume wie eine mit Spannung, Volumen, Frequenzen, Intervallen erfüllte Farbklang-Partitur. Das Gemälde daneben verrät eine eher straffe Struktur. Staccato ähnlich mäandern vertikale Grünbahnen wie verbogene Orgelpfeifen, Säulen, aus der Form geratene Baumstämme, Gitter oder gar wie verzerrte, dicke Stahl- Darmsaiten in die Höhe; dahinter, darunter, daneben rumort, orgelt, vibriert, jubiliert wiederum ein nur partiell sichtbares Farbenorchester.
Stark abweichende Eindrücke rufen zwei, den Altarraum flankierenden Kompositionen hervor. Links, der elektrifizierende Magnet, der aufgrund seiner grünschillernden, geradezu neon-poppigen Farbqualität ad hoc beim Hereintreten in die Trinitatis Kirche die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Rechts eine ausbalancierte, meditativ sakral aufscheinende Antithese, Rosa-Magenta-Purpur getönte, offenbar friedfertig, gelassen dahintreibende Horizontal-Bahnen; eine panoramaartige Weite macht sich breit ein einem Farbenfluss, dessen Aura einträchtig daher schreitet im Akkord mit zart schimmerndem in Honig und Safran Nuancen schwelgenden Fond. Wie „Ein Stück Erlösung“, meinte die Künstlerin beiläufig.
Das Gegenüber hingegen kristallisiert gestisch raue, schroffe, „ruppige“ Pinselstriche, brüchig gestaffelte Farbpartien sowie tendenziell dynamisch aufwärts trachtende Formationen heraus. Unterwandert wird dieser Prozess durch rhythmische Gegenbewegungen von dunkelgrün schattierten Blöcken, gleichsam Mollstimmungen der Farbenskala.
Eine naheliegende Assoziation sind Wachstum, aufkeimende Vegetation, vielleicht sogar Auferstehung -im weitesten Wortsinn-.
Sensorische Wirklichkeitserfahrungen wie Witterung, Temperatur, Beleuchtung oder Zeitpunkt, Traumszenerien und vielleicht sogar Innenleben, Zustände, Prozesse wie etwa Konflikt, Reibungen, Dissonanzen (der Farben) ebenso wie Harmonie meint man vielfach diesem suggestiven Bildkosmos ablesen zu können. Fluidum, Aura, Substanz, Essenz eines vorübergehenden Zustandes werden mit bisweilen wie Ölfarben anmutende Acryltinkturen ins Bild gesetzt.
Im ebenfalls mit virtuosen Werken ausgestatteten Pavillon klingen Wechselbezüge zum Reich der Musik, des Jazz, Free Jazz und der Minimalkomposition, zur Nocturne nach. Literarische Analogien zur Romanze, zur Poesie, Ballade und Elegie oder gar Krimi flackern gleichermaßen auf.
Strahlende, knackige, kraftvolle ebenso wie gedämpfte, verblichene, mürbe, verschattete Farben, kennzeichnen die kontroverse, gleichwohl in sich geschlossene Bildwelt der Marietheres Hessel.
Das Experiment mit „Zwischenräumen“ manifestiert sich in Pervertierungen von Hinter- und Vordergrund, im Spiel mit positiven und negativen Formen, lichterfüllten und matt dumpfen Farben und Strukturen, in Frei- und Leerräumen, Lücken, Gelenkstellen, Scharnieren, in Kipp- und Vexierbildsituationen.
Wesentlich ist ein weiterer Aspekt zum Fokus „Zwischenraum“. Einem nicht allzu schmalen Kontingent der Novitäten liegt das Prinzip der Übermalung (sowie Überschichtung) zugrunde, d.h. über eine fertig gestellte Komposition stülpt sich ein neuer Bildkosmos, so dass diese Synthese, Symbiose den „Zwischenraum“ zwischen kompositorischer Vergangenheit und schöpferischer Gegenwart überbrückt.
Die drei Ausstellungssektionen (Kirchenraum, Taufkapelle/kammermusikalisches Intermezzo) sowie Pavillon sind auf Langzeitbetrachtungen angelegt. Es ist eine grundlegende Erfahrung, dass die Gemälde von Marietheres Hessel je nach Standort, Abstand oder „Zwischenraum“ zum Betrachtungsgegenstand ein anderes, neues Gesicht an den Tag legen. Der Luxus von Verweilen, Pausieren, Atem holen, Ruhe, Beschaulichkeit wird durch ergiebige Entdeckerfreuden belohnt. Konzentrierte Blicke entdecken beispielsweise farbenverwehte Inseln, aus Farbtiefen emportauchende Enklaven und verborgene, virulent agierende, metamorphe Strukturen, geheimnisumwitterte Fonds, verschachtelte Architekturen, Wegbahnen, die abrupt abbrechen.
Assoziationsbeispiel, das Phänomen: „Entre Sole“. Spontan hat die Gemäldeabbildung auf der Einladungskarte bei mir einen Jahrzehnte zurückliegende Begebenheit aus dem Gedächtnis abgerufen: auf einer Führung durch verschwiegene Winkel ihres neugotischen Schlosses vergönnte mir meine weiland Schwiegermutter den Anblick einer architektonischen Kuriosität: hinter einer Türe zu erblicken war eine schmale, steile Wendetreppe, die zu einem, vom Hauptraum tektonisch abgespaltetem Zwischenraum, einer Metaebene geleitete. Diese unterhalb der Raumdecke eingebaute, verhältnismäßig niedrige Podest- oder Empore ähnliche Raumkonstruktion beherbergte die Schatzkammer des Hauses: Ein mit Regalen, Schubladen bestücktes Magazin prunkte mit blau bemaltem, antiken chinesischen Geschirr.
Zum Abschluss muss hervorgehoben werden: Sämtliche Plots, Bildarchitekturen sind, trotz intuitiver Begleitmusik von einer jenseits von Mainstream komponierenden Einzelkämpferin, die „Jedwedem Schematismus abhold ist“ mit äußerstem Bedacht, mit kompositorischem Knowhow, Feingespür und Fingerspitzengefühl durchkomponiert. Unwissend, unbeabsichtigt fließen Kunstgeschichts- und Germanistikstudium, aktuelle Ausstellungserinnerungen und natürlich eine langjährige Künstlerinnen-Erfahrung gleichsam als „Zwischenräume“ in diese absolut autonome, einzigartige Bildsprache ein.
Text: Christina zu Mecklenburg, Bonn, September 2017